Interview
Unter anderem beim Hotel Bredeney in Essen und bei der Parkstadt Mülheim an der Ruhr, der ehemaligen Tengelmann-Konzernzentrale, konnte die bicon Generalplanung GmbH bereits gemeinsam mit Stefan Spilker unter Beweis stellen, dass Abriss und Neubau nicht immer der einzige Weg für veraltete Bestandsgebäude sind. Stattdessen bauen wir gemeinsam im Bestand, indem wir die Bausubstanz revitalisieren und wo immer möglich nachverdichten. So entsteht aus dem Alten das Neue – in Form marktgängiger Immobilien und ganzer Quartiere. Im gemeinsamen Interview erläutern Stefan Spilker und Sabine Hupe, warum es dabei vor allem auf eine gute Vorbereitung ankommt und welche Nachhaltigkeitsfaktoren eine besondere Rolle spielen.
Herr Spilker, reden wir zu selten über nachhaltiges Bauen im Bestand?
Stefan Spilker: Definitiv. Das Thema Environmental Social Governance (ESG) ist eindeutig branchenprägend – allerdings vor allem im Neubau, weniger im Bestand. Auch die gängigen Zertifizierungssysteme wie DGNB sind auf neue Immobilien zugeschnitten. BNP Paribas zufolge sind jedoch 80 % der Bestandsgebäude im Jahr 2050 bereits heute im Bestand. Und nur 2 % dieser Immobilien entsprechen aktuell der „Netto-Null“ der Pariser Klimaziele. Deshalb müssen wir dringend etwas dafür tun, diese Bestände zu erneuern. Natürlich ist das nicht bei allen Immobilien möglich, aber deshalb müssen wir uns umso dringender mit dem Thema befassen und diejenigen Objekte, die ein zweites Leben erhalten können, auch identifizieren. Das Bauen im Bestand halte ich dabei übrigens für weitaus komplexer als reine Neubauten, denn man muss sich auf die Gegebenheiten einlassen. Es hilft wenig, bestehende Konzepte übertragen zu wollen. Bauen im Bestand ist Individualismus pur.
Sabine Hupe: Da bei jedem Abriss ein enormes Maß an grauer Energie freigesetzt wird, ist es in Deutschland zu Recht immer schwieriger, abzureißen und neu zu bauen. Deshalb müssen wir uns ein systematisches Verständnis in Sachen Umnutzung und Bauen im Bestand erarbeiten, auf dessen Basis wir von Projekt zu Projekt eine individuelle Entscheidung treffen. In einigen Fällen ist auch eine Kombination aus Revitalisierung und teilweiser Neubebauung sinnvoll, wie wir es gemeinsam in Mülheim an der Ruhr umsetzen.
Wie viel lässt sich beim Bauen im Bestand vorbereiten – und welche Bedeutung hat das jeweilige Baujahr?
Sabine Hupe: Eine gründliche Vorprüfung ist das A und O. Deshalb haben wir zusammen mit Stefan Spilker bei dem gemeinsamen Projekt Hotel Bredeney in Essen eine umfangreiche Technical Due Diligence (TDD) durchgeführt und dabei unter anderem genau auf Altlasten, Brandschutzthemen und weitere Risiken geachtet.
Stefan Spilker: Einen Bestandsbau zu übernehmen, ohne ihn vorher genau zu prüfen, wäre grob fahrlässig. Deshalb ist es auch unglaublich wichtig für mich als Projektentwickler, mir die fundierte Meinung Dritter einzuholen. Natürlich hilft auch die Markterfahrung dabei, die möglichen Risiken zu ermitteln, die die Gebäude aus den unterschiedlichen Jahrzehnten bei einem solchen Vorhaben bereithalten. Der gefürchtete Asbest aus den 1970er Jahren ist dabei nur ein Beispiel von vielen; auch die scheinbar recht neuen Immobilien aus den 1990er Jahren haben ihre Tücken. Aufgrund des neuen – und sehr wichtigen – Umweltbewusstseins sind aber inzwischen sogar Immobilien der 2000er Jahre revitalisierungsbedürftig. Als Projektentwickler, der lange genug im Geschäft ist, kommt man womöglich irgendwann sogar in den zweifelhaften Genuss, sein eigenes „Frühwerk“ ein zweites Mal zu entwickeln.
Wie gehen Sie mit „bösen Überraschungen“ um, mit denen Sie beim Bauen im Bestand konfrontiert werden?
Sabine Hupe: Nun, die bereits erwähnte TDD soll diese Risiken ja möglichst reduzieren. Dennoch wird es immer wieder Momente geben, die vorher einfach nicht absehbar waren – oder aber, es läuft tatsächlich mal im Detail nicht nach Plan. Vor allem ist gute Kommunikation elementar. Für uns in der Projektsteuerung ist es wichtig, auftretende Probleme konstruktiv mit dem Projektteam zu lösen. Dazu bedarf es einer sorgfältigen Auswahl der beteiligten Planer und Fachplaner. Dazu gehört auch, sich nötigenfalls selbst einmal Kritik gefallen zu lassen. Das oberste Gebot ist aber die vollständige Transparenz gegenüber dem Projektentwickler und seinen Investoren.
Stefan Spilker: Wichtig aus Sicht des Entwicklers ist aber auch, konservativ zu agieren und finanzielle Puffer einzubauen. Das größte Problem wäre, das eigene Projekt zu ambitioniert zu betrachten, weil dann weniger Spielraum für Unvorhergesehenes bleibt. Und ich bin ebenfalls sicher, dass sich eine gute Zusammenarbeit zwischen Entwickler und Generalplaner beziehungsweise Projektsteuerer auch ganz konkret in der späteren Qualität der Gebäude niederschlägt – und das gilt ganz ausdrücklich auch für den Faktor Nachhaltigkeit.